Everlasting

Everlasting

Der Mann, der aus der Zeit fiel

»Everlasting« erzählt die Geschichte einer Suche durch Zeit und Raum nach einem verloren gegangenen Gefühl – der Liebe.

     

Man schreibt das Jahr 2264. Trotz unglaublichen Fortschritten in Wissenschaft und Technik stehen Experten ratlos vor dem Problem einer dezimierten Weltbevölkerung. Der junge Historiker und Sprachwissenschaftler Finn Nordstrom, Spezialist für die inzwischen tote Sprache Deutsch, soll die neu entdeckten Tagebücher eines Mädchens aus dem Berlin des frühen 21. Jahrhunderts übersetzen. Liegt in diesen uralten Tagebüchern ein Geheimnis, das die Menschheit retten kann?

Das Leben im Jahr 2264 ist von Harmonie geprägt: Die Liebe existiert zwar nicht mehr, doch finden sich die Menschen in ausgewogenen Partnerschaften zusammen, die Welt ist von Gemeinsinn, Fortschritt, sowie der Aussicht auf Unsterblichkeit geprägt. Doch mit der Übersetzung der Tagebücher eines Mädchens, das quasi vor seinen Augen erwachsen wird, verändert sich Finns Leben. Bald folgt eine folgenschwere Anweisung: Er soll ein Virtual-Reality-Spiel auf seine Authentizität testen, das im Berlin des 21. Jahrhunderts angesiedelt ist. Ohne es zu wissen, wird er zum Versuchskaninchen mächtiger Physiker, die ihn auf eine echte Reise durch die Zeit schicken. Prompt steht er vor der Tagebuchschreiberin — und fragt sich, was das für ein sonderbares Gefühl ist, das ihn plötzlich überkommt…

Audio

Radio Interview (englischsprachig)

Die Geschichte hinter der Geschichte

Vor etwa drei Jahren wurde ich für die Jugendseite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nach Tipps für künftige Autoren gefragt. Ich empfahl, dass man seine Schulaufsätze aufheben und schön ordentlich abheften solle. Manche Sachen, die wir als Schüler geschrieben haben, kommen uns vielleicht ein paar Jahre später furchtbar peinlich vor. Aber das ist gut so. Wir sehen, dass wir inzwischen ein anderes ästhetisches Verständnis haben und das stärkt uns.

Ein alter Aufsatz kann uns auch auf ganz neue Ideen bringen. Zum Beispiel sollten wir in der 5. Klasse eine fiktive Geschichte über die Zukunft schreiben. Ich erinnere mich, dass mir das sehr viel Spaß machte. Stolz, dass ich ein “A” als Note bekam, habe ich den Aufsatz auch aufgehoben und “schön ordentlich” abgeheftet. Sieben Jahre später, als ich Senior an der High School war und über Utopien schreiben sollte, erinnerte ich mich an den Aufsatz, schaute ihn an – und war entsetzt. Wie naiv ich war. Wie oberflächlich. Und doof. Warum der Aufsatz damals nicht im Mülleimer landete, weiß ich nicht. Heute bin ich jedenfalls froh, dass ich ihn noch habe.

Der Aufsatz ist mit “31. Januar 1961” datiert. Das war nur zehn Tage nach der Amtseinführung von John F. Kennedy, für viele Amerikaner eine extrem optimistische, zukunftsfreudige Zeit. Als Zehnjährige interessierte ich mich allerdings weder für Politik noch für die nahe Zukunft. Meine Geschichte hieß “A Letter Through the Time Barrier”. Eine fiktive Holly, die im Jahr 9000 lebt, schreibt einen Brief an eine Freundin, die im 20. Jahrhundert zu Hause ist, erzählt ihr von ihrem wunderbaren Leben ohne Krieg und ohne Verbrechen, von einer Welt, wo alle Menschen ehrlich sind und alle Grundschulen Swimming Pools im Schulhof haben. Offensichtlich hatten wir im Jahr 9000 auch einen regen Kontakt mit der Vergangenheit. Unsere Forscher hatten herausbekommen, wie man mit Menschen, die siebentausend Jahre zuvor lebten, kommuniziert – via Briefe, die über das United States Post Office per Airmail in nur einem Tag den Empfänger erreichten.

Wie gut, dass ich diesen Aufsatz aufgehoben habe. Wenn ich ihn heute lese, berührt es mich wie kindlich ich war. Wie lustig. Wie ernsthaft. “A Letter Through the Time Barrier” sagt viel aus über die Träume, Wünsche und kindliche Fantasie des zehnjährigen Mädchens aus Brooklyn, das ich einmal war, aber – und das ist natürlich das Wichtigste – auch über das Kind, das noch in mir steckt. Denn als ich diesen Aufsatz für das obenerwähnte Interview ausgrub und erneut las, nach so vielen Jahren, schlug mein Herz schneller. Auf einmal wusste ich, dass ich einen Roman schreiben würde, der in der Zukunft spielen und wie in meinem “Letter Through the Time Barrier” die Grenzen von Zeit und Raum durchbrechen würde. Ich spürte eine Sehnsucht in mir nach den Phantasiewelten, die mich als Zehnjährige befallen hatte.

Nach vier (recht realistischen) Jugend- und All-Age-Romanen, verspürte ich wieder große Lust, einen Roman für ein erwachsenes Publikum zu schreiben. Doch Phantasiewelten, Science Fiction und Märchen sind heute mehr oder weniger aus der ernstzunehmenden, erwachsenen Literatur verbannt. Kann man heutzutage überhaupt so ein Buch schreiben? Mein zehnjähriges Ich, ein Kind seiner Zeit sagt, “Na klar! In jedem Leser steckt die Sehnsucht nach dem Phantastischen.”

Über viele Dinge, die mir heute als Tochter, Mutter, Ehefrau, Freundin und Autorin wichtig sind, machte ich mir für das Buch Gedanken (und recherchierte und diskutierte mit kundigen Menschen): Wie werden die Menschen in 250 Jahren leben? In Klein- oder Großfamilien? Oder gar in Kommunen? Vielleicht existieren Familien nicht mehr. Wer erzieht die Kinder? Gibt es noch Schulen? Universitäten? Wie lernt man? Haben Bücher die Jahrhunderte überlebt? Liest man überhaupt? Schreibt man? Mit Stift und Füller? Oder nur digital? Wie werden Informationen aufgenommen und verbreitet? Existiert das Internet noch? Was für Computer werden benutzt? Wie hat sich unsere Sprache verändert? Wie unterhält man sich? Was isst man? Was trinkt man? Wie sehen die Städte aus, vor allem was ist aus Berlin geworden, einem der Hauptschauplätze des Romans? Was ist in den letzten 250 Jahren passiert? Warum entwickelten sich die Dinge, wie ich sie beschreibe? Und sehr wichtig: wie steht’s mit der Liebe? Und Sex? Und wie verpacke ich das alles in eine Geschichte, die unterhält, nachdenklich macht, berührt und zugleich glaubwürdig von unserer und einer anderen Zeit erzählt?

Die Welt, die ich mir schuf, ist – außer bei meinem etwas wagemutigen, aber immer aufregenden Flirt mit den Zeitreisen – relativ realistisch. Meine Figuren leben auch nicht in einer düsteren, öden Horrorwelt. Meine neue Welt ist keine Dystopie. Im Jahr 2264 haben Menschen in Europa nach einer schwieriger Zeit, die inzwischen schon fast zweihundert Jahre her ist, zu Gemeinsinn und Verantwortung für die Gesellschaft gefunden, sie leben relativ friedlich mit einander, aber … ja, aber. Ohne ein Aber gäbe es keine Geschichte. Finn Nordstrom, ein junger, hochsensibler Sprachwissenschaftler aus New York, Spezialist für die inzwischen tote Sprache Deutsch, sagt Aber und…fällt aus der Zeit.

Mein zehnjähriges Ich wäre noch viel zu jung, um dieses Buch zu lesen und zu verstehen, aber es hat mitgewirkt. Ohne es, seine kindliche Fantasie und seinen Aufsatz hätte ich „Everlasting“ womöglich nie geschrieben. Enjoy! — März 2012